2. September 2013

2/30*



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Wir könnten uns den Namen der jeweils anderen auf den Arm tätowieren lassen. Wir könnten die Sprache der Delphine lernen. Wir könnten unsere Botschaft in die Welt hinaustragen. Wir könnten Pinguine dressieren. Wir könnten in Hafenspelunken herumlungern. Wir könnten ein Sportabzeichen machen. Wir könnten eine Unterwäsche-Kollektion entwerfen. Wir könnten uns das alles noch einmal überlegen. Wir könnten ganz von vorn anfangen. Oder zur Abwechslung auch einmal von hinten anfangen. Wir könnten das Verhalten von Panzernashörnern beobachten. Wir könnten uns an der Börse notieren lassen. Wir könnten eine aufsehenerregende Krankheit simulieren. Wir könnten ein Land entdecken. Wir könnten so weitermachen wie bisher, fast genau so weiter wie bisher, denn vielleicht sind das auch Ausreden, vielleicht finde ich nichts, weil ich nichts finden möchte, weil es wieder nicht durchgehalten wird, weil wir uns übernommen haben, weil dann doch zurückgeschreckt wird, in letzter Sekunde oder sogar noch davor, und die Tage hier nicht reichten, um das zu zeigen. Es versickerte schnell, auch wenn ich mich dagegen wehrte, zu schnell, um sich selbst noch leichtfertig zu glauben, um noch irgendetwas überzeugt vorbringen zu können beim Frühstück, und jetzt gilt es, sich wieder einzugestehen, wieder ein Abfinden als Ehrlichkeit auszugeben, weil doch alles andere, machen wir uns nichts vor, verlogen wäre, auf keinen Fall von Dauer wäre. Ich bin müde, machen wir uns nichts vor, ich habe es immerhin versucht, machen wir uns nichts vor, es war eigensinnig und vermessen und, machen wir uns nichts vor, reichlich trostlos. Wir könnten in Kontakt bleiben. Wir könnten in regelmäßigen Abständen telefonieren. Wir könnten gemeinsame Kurzurlaube planen. Wir könnten uns auf dem Laufenden halten. Wir könnten uns bemühen.
 
[ Wir bleiben in der Nähe | Till Rammstedt ]
 
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* 30 x ein Foto, ein Buch, eine Skizze

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1. September 2013

1/30*



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Eine Woche später kam die erste Karte. Es war ein Foto der Dorfkirche von Canitz, auf der Rückseite stand:
Das Dach ist dicht. Das Kind putzt sich die Nase, spricht nicht, ist immer da. Auf die Sonne ist Verlaß, ich rauche, wenn sie geht, ich habe was gepflanzt, das kannst du essen. Den Efeu schneid ich, wenn du kommst, du weißt, du hast die Schlüssel immer noch.
Danach kamen regelmäßig Karten, ich wartete, wenn sie einen Tag ausblieben, war ich enttäuscht. Es waren immer Fotos der Kirche und immer vier oder fünf Sätze, wie kleine Rätsel, manchmal schön, manchmal unverständlich. Stein schrieb oft ... wenn du kommst. Er schrieb nicht: »Komm«. Ich beschloß, auf das »Komm« zu warten, und dann loszufahren.
 
[ Sommerhaus, später | Judith Hermann ]
 
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* 30 x ein Foto, ein Buch, eine Skizze

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