14. Oktober 2013

3/30*




* * *
 
Warum ich schreibe?
Das war nicht vorgesehen. Es hätte nie passieren brauchen. Man lebt nicht alle Leben, die man leben könnte. Es passierte. Nichts läßt sich je rückgängig machen. Es ist mein zweites Leben, alle lächeln, wenn sie es hören, als sei es eine Metapher. Wenn sie meine Photos sehen, werden sie sofort ernst. Weil ich zwei Menschen bin. Der vorher, und der seitdem.
Ich hatte mir nichts vorgenommen, es passierte, wie wenn einer überfahren wird. Oder wie Liebe. Man handelt nicht, es passiert.
„Ich habe ein Gedicht geschrieben“, sagte ich zu ihm. Morgens vielleicht. Vermutlich morgens. „Du schreibst keine Gedichte“, sagte er mißbilligend. „Bis gestern“, sagte ich vorsichtig. „Wie wenn die Katze plötzlich zu reden begänne“, sagte er. „So leicht ist das also“, sagte er empört, als er nach vielem Sträuben es sich angesehen hatte. „Wieso?“ sagte ich. „Was ist leicht?“ „Gedichte schreiben“, sagte er. „Du hast es nie getan. Es ist ein Gedicht.“ Damit knallte er die Tür hinter sich zu. Als ich die Tür knallen hörte, wußte ich, daß es ein Gedicht war.
 
[ Ich schreibe, weil ich schreibe (Warum einer tut, was er tut) | Hilde Domin ]
 
* * * 



 
* 30 x ein Foto, ein Buch, eine Skizze

Klickt die Bilder an und sie erscheinen in hoher Auflösung.